Auf dem 'Deutschlandpolitischen Kongress' der Grünen, der vom 9. bis 11. März 1984 in Karlsruhe stattfand, wurde deutlich, daß die Nationale Frage nur von links verstanden werden kann. Trotz einiger Gegenstimmen: In Karlsruhe herrschte eine gute, weil subversive Grundstimmung gegen eine Machtpolitik, die die Besetzung und Spaltung Deutschlands zementieren will. Wer 'Stabilität' sagt, wenn es um Frieden geht, muß sich fragen lassen, ob er nicht Friedenspolitik mit einer Politik der 'Befriedung' verwechselt. Theodor Schweißfurths Forderung: 'Volkssouveränität gegen die Souveränität der Herrschenden' entwickelte sich hier zu einer breiten Einsicht.
Den Zusammenhang zwischen Friedenspolitik, Antimilitarismus und nationaler Befreiung machte August Haußleiter anhand der Schilderung seiner politischen Auseinandersetzungen seit Gründung der BRD sehr lebhaft bewusst. Die Linken, die Gruppe der Überlebenden der KZs und der Antifaschisten waren es, die dem 'Kanzler der Alliierten', Konrad Adenauer, Widerstand leisteten. Für den Remilitarisierungs-Kanzler, den Kanzler der deutschen Spaltung, begann '40 km hinter Braunschweig die Steppe'. Der Kanzler der freien Marktwirtschaft hatte kein Interesse an Deutschen, deren Wählervotum ihm nicht sicher schien. Er wollte lieber ein waffenstarrendes, kapitalistisches West-Germany als ein neutrales, demokratisches und sozialistisches Gesamt-Deutschland.
Wer August Haußleiter am Freitagabend gehört hatte, mußte entsetzt sein, als sich in den Diskussionsrunden am Samstag Dirk Schneider, MdB der Grünen, gemeinsam mit einigen seiner Mitarbeiter genau in diese Traditionslinie Adenauerscher Machtpolitik stellte. Staatsloyalität wurde verlangt - für Volkssouveränität war da nichts mehr drin. Als jemand an das Selbstbestimmungsrecht der Völker erinnerte, lautete die Ablehnung: 'Das ist ja Revolution!' Und der Hinweis auf die freiheitliche, gesamtdeutsche Tradition der Linken wurde beantwortet mit der Forderung nach einer eigenen BRD-Identität!
Die wirkungsvollste Absage an diese rechten Denkstrukturen erfolgte am Samstagabend, als in dem ausverkauften Konzerthaus Bettina Wegener und Wolf Biermann einige Lieder vortrugen, in denen sie u.a. von ihren gesamtdeutschen Erfahrungen erzählten.
Weil Wolf Biermann ein Linker ist, weil er nichts mit Staatsloyalität, aber viel mit Volkssouveränität im Sinne hat, bekennt er sich zur deutschen Einheit. Daß er sich damit am 10. März in Übereinstimmung mit der großen Mehrheit des Publikums befand, zeigte sich, als er über die naheliegende Konsequenz einer deutschen Einheit sprach: 'Ein neu vereinigtes Deutschland braucht auch eine neue Nationalhymne. Und damit wir sie alle können, wenn es soweit ist, sollten wir sie jetzt schon lernen!' Das Publikum 'lernte' und sang die bisher als 'Kinderhymne' bekannten Strophen von Bertolt Brecht:
'Anmut sparet nicht noch Mühe / Leidenschaft nicht noch Verstand / Daß ein gutes Deutschland blühe / Wie ein andres gutes Land.
Daß die Völker nicht erbleichen / Wie vor einer Räuberin / Sondern ihre Hände reichen / Uns wie andern Völkern hin.
Und nicht über und nicht unter / Andern Völkern wolln wir sein / Von der See bis zu den Alpen / Von der Oder bis zum Rhein.
Und weil wir dies Land verbessern / Lieben und beschirmen wir's. / Und das liebste mag's uns scheinen / So wie andern Völkern ihrs.' (ams gruppe) |
Die Hinrichtung der sächsischen Kleinstadt Mügeln als Hort des "Pöbels", des "rasenden Mobs", der "Hetzjagden" gegen Ausländer veranstaltet, ist skandalöser und in ihrer Bedeutung einschneidender als die Verunglimpfung von Sebnitz, das im November 2000 als kollektive Mörderhöhle angeprangert wurde. Damals konnte man zugunsten der Urheber annehmen, daß sie von der Dynamik ihrer Kampagne selber überrollt worden waren. Im Fall von Mügeln war von Anfang an kalter Vorsatz am Werk. Die polizeilichen Ermittlungen wurden allen Ermahnungen zum Trotz gar nicht abgewartet, alternative Darstellungen des Tathergangs als Relativierung und Verharmlosung diffamiert.
Es geht nicht um Tatsachen und auch nicht um die "acht Inder". Mügeln wird als Fanal gebraucht. Ein politischer Feldzug soll in Schwung gehalten werden, der auf eine umfassende Bewußtseins- und Gesellschaftsveränderung abzielt. Wir erleben das Wetterleuchten eines medialen Bürgerkriegs!
Die Anlässe der einzelnen Kampagnen können jeweils banal sein. Diesmal wollten Journalisten die sommerliche Saure-Gurken-Zeit offenbar dafür nutzen, sich bekannt zu machen. Der eine bringt im Herbst vielleicht ein Büchlein über Rechtsextremismus heraus und möchte seinen Namen vorab bekannt machen, ein anderer spekuliert auf eine Festanstellung, ein dritter hat womöglich Bekannte, die in Antirassismus-Projekten tätig sind, deren Finanzierung ausläuft.
Die Artikel und Analysen erheben den Anspruch auf Investigation, Engagement, Mut; in Wahrheit sind sie stromlinienförmig und appellieren an eingeschliffene Reflexe. Der Zynismus und die Lust an der öffentlichen Demütigung anderer ist die Kehrseite jenes verlogenen Moralismus, der diesem Journalismus aus allen Poren quillt. Dieses Muckertum hat auch dafür gesorgt, daß nur wenige Medien auf die Möglichkeit einer Sebnitz-Parallele hinwiesen und sich der Kampagne entzogen.
Der ehemalige sächsische Innenminister Heinz Eggert (CDU) hat einen weiteren Aspekt benannt: "Da äußern sich Westdeutsche über Ostdeutsche in einer Art, die ihnen zu Recht als Fremdenfeindlichkeit ausgelegt werden würde, wenn sie sich so über Ausländer äußerten." Es ist noch schlimmer. In den Internetforen liberaler Medien sondern Beiträger, die sich zweifelsohne zu den Guten und Anständigen zählen, über Menschen in den neuen Ländern Apartheid- und KZ-Phantasien ab. Es kann nicht bestritten werden, daß es in besagten Landstrichen spezifische Verwerfungen gibt. Die Ursachen sind vielfältig. Die Abhängigkeit von der finanziellen Alimentierung durch den Westen bei gleichzeitigem Oktroi seiner politischen Strukturen und Redeweisen, die an der Lebenswirklichkeit in der Ex-DDR vorbeigingen und -gehen, hat dort zu einem Gemisch aus verletztem Stolz und Sprachlosigkeit geführt, das sich mitunter aggressiv entlädt.
Doch darum geht es bei diesem Medienskandal und seiner Rezeption überhaupt nicht. Seine tieferen Gründe sind im Westen zu suchen, in den Projektionen, die er sich vom Osten zurechtgelegt hat, und in deren Funktion im eigenen Seelenhaushalt. Hinter dem Haß, der in den besagten Phantasien hervorbricht, steckt Angst. Diese rührt von dem Gefühl her, daß die bis an die Oder vergrößerte Bundesrepublik kein vergleichbar sichereres Bezugssystem mehr bietet wie früher Westdeutschland. Das hat aber eher mit den Anforderungen der Globalisierung zu tun als mit den Folgen der Wiedervereinigung.
Diese Verunsicherung wäre diskutier- und beherrschbar. Doch eine ruhige, weitgespannte Selbstbesinnung ist in Deutschland unmöglich, weil der Diskursraum von einer Intelligenzija - der Begriff Intellektuelle wäre zuviel der Ehre - besetzt gehalten wird, die seit Jahrzehnten nichts anderes tut, als das eigene Land zum Auswurf des Bösen zu erklären. Die aktuellen Geistkämpfer stehen voll in ihrer Tradition. Mügeln beweise, "daß Deutschland noch immer ein Land ist, in dem Alkohol und einige unbedachte Worte genügen, um aus einer feiernden Gesellschaft einen gewaltbereiten Mob zu machen, der selbst zum Töten bereit ist", heißt es in Zeit online. Noch immer! Die Mordlust muß wohl in den deutschen Genen liegen.
Da das unaufhörliche Kritisieren die einzige Existenzberechtigung dieser Kaste ist - denn ein Lob oder eine Bestätigung für etwas, das außerhalb von ihr in der praktischen Welt entstanden ist, könnte dort schnell den Gedanken wecken, daß sie überflüssig ist -, wird sie ihre Positionen niemals freiwillig räumen. Erst recht darf sie keine Fehlerdiskussion darüber zulassen, welchen Anteil sie selber an der Misere des Landes hat.
Armin Mohler hat vor über vierzig Jahren gewarnt, daß diese Intelligenzija das Auftauchen einer "Gegenfigur", des "Kommissars", provoziere. Dieser könne aus der Gesellschaft erwachsen, die der ewigen Schurigelei leid sei, es könne sich aber auch um einen Renegaten aus den eigenen Reihen handeln. Eingetroffen ist etwas viel Gefährlicheres. Die Intelligenzija wird selber zum Kommissar, dieser ist keine Gegen-, sondern eine Komplementärfigur, die sie vervollständigt und ihre Wirkungsmöglichkeiten steigert.
Dieser Prozeß vollzieht sich zum Beispiel durch ihr Einsickern in die politische Klasse. Hinter ihrer Forderung, die staatliche Finanzierung der ideologisch motivierten Programme "gegen Rechts" auszuweiten und zu "verstetigen", steckt gleichfalls der Wille, sich als unauflöslicher Teil des Staates zu etablieren und seinen Charakter von innen heraus zu verändern. Das geschieht durch Gesinnungsparagraphen, Sprachverbote, Versammlungs- oder Antidiskriminierungsgesetze, die Politisierung der Justiz.
Die Probleme, die die ideologische Weltsicht dieser Kaste überhaupt erst geschaffen hat, will sie dadurch lösen, daß sie ihre Benennung sanktioniert und ihr eigenes falsches Bewußtsein in das der Allgemeinheit hineintreibt. Endziel ist die Exekution einer ideologisierten Realität, in der es zum Beispiel keinen Sozialmißbrauch durch Ausländer mehr gibt, nur noch die "Menschenfeindlichkeit" der Deutschen. Die Frage, welchen Grund die Ex-DDR denn hat, die katastrophale Ausländerpolitik des Westens nachzuvollziehen, wäre in dieser Welt endgültig nicht mehr sagbar.
Im Windschatten der Medienkampagnen wird diese Entwicklung Stück um Stück vorangetrieben. Sie sind die Lokomotiven eines geistigen Bürgerkriegs. Daher muß man sich zu Mügeln die Fragen vorlegen: Wer sind hier die Hetzer? Wer ist das Gesindel? Wer ist hier der Mob, der rast?
|